Ralf Gnosa freier Schriftsteller und Literaturwissenschaftler


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Edward Thomas: Lights out - Licht aus

Edward Thomas (1878-1917 [gefallen]) - Lights out

I have come to the borders of sleep,
The unfathomable deep
Forest where all must lose
Their way, however straight,
Or winding, soon or late;
They cannot choose.

Many a road and track
That, since the dawn's first crack,
Up to the forest brink,
Deceived the travellers,
Suddenly now blurs,
And in they sink.

Here love ends,
Despair, ambition ends;
All pleasure and all trouble,
Although most sweet or bitter,
Here ends in sleep that is sweeter
Than tasks most noble.

There is not any book
Or face of dearest look
That I would not turn from now
To go into the unknown
I must enter, and leave, alone,
I know not how.

The tall forest towers;
Its cloudy foliage lowers
Ahead, shelf above shelf;
Its silence I hear and obey
That I may lose my way
And myself.


Edward Thomas - Licht aus

An des Schlafes Grenzen ich halt,
Dem unfaßbar tiefen Wald,
Wo jeden vom Weg es treibt,
Ob er auch grade geht,
Ob krumm, früh oder spät;
Kein Wählen bleibt.

Straßen und Spuren all,
Die, seit der Dämmrung Fall,
Hin, wo der Wald begann,
Wohl trogen den Wanderer,
Schwinden nun um ihn her,
Versinken dann.

Liebe endet,
Verzweiflung, Ehrgeiz endet
Hier, Freude und Verzicht;
Ob Süßes mehr, ob Bittres,
In Schlaf noch süßer hier tritt es
Als edle Pflicht.

Ein Buch wohl gibt es nicht,
Noch liebsten Blicks Gesicht,
Dem ich mich nun nicht entzieh
Ins Unbekannte hinein,
Man betritt's und verläßt's nur allein,
Ich weiß nicht wie.

Turmhoch der Wald steiget,
Sein Laubwerk wolkig neiget
Sich Schicht um Schicht über mich;
Ich hör und befolg sein Schweigen,
Verlier den Weg, mir eigen,
Und mein Ich.



Edward Thomas scheint in Deutschland bisher wenig Aufmerksamkeit gefunden zu haben; das scheint in seiner Heimat ganz anders zu sein, wenn ich die Häufigkeit der Neuausgaben seiner Gedichte sehe.
In seinen besten Gedichten gelingen ihm schwebende, luftige, ins Jenseitige durchlässig werdende Verse, die dennoch ganz im Diesseitigen beruhen, aber in ihrer Stimmungshaftigkeit das Diesseitige für dunkle Stimmungen durchlässig werden lassen. Das ist - zugegeben! - nicht glücklich formuliert; es soll auch nur eine Qualität der Thomas'schen Lyrik andeuten, die in dieser ihren Ausdruck findet und diskursiv nicht wiederholbar, immerhin aber andeutbar ist. Das hier gewählte Gedicht ist ein gutes Beispiel dafür. Die formalen Freiheiten geben ihm eine fast impressionistische Leichtigkeit, doch der dunkel-mystische, neuromantische Gehalt steht dem entgegen und erdet diese Verse gewissermaßen wieder, das verleiht ihnen zugleich Schwere und Luftigkeit. Nachdichterisch war dies für mich eine besondere Herausforderung, da ich mich sicherer in festen Metren bewege. Aber dieses Gedicht reizte mich einfach ungemein... Daß ich eine vollgültige Nachdichtung geliefert hätte, wage ich nicht zu glauben; einige Passagen bleiben "Näherungswerte", doch hoffe ich, Wesentliches bewahrt und gestaltet zu haben. Eine andere deutsche Fassung dieses Gedichts ist mir nicht bekannt; überhaupt finde ich auf die Schnelle nur zwei Thomas-Nachdichtungen, die beide von Georg von der Vring stammen.
Vielleicht hat Edward Thomas aber einen deutschen Geistesverwandten: mich erinnern seine Gedichte der oben umrissenen Art stark an die Lyrik von Wilhelm von Scholz (1874-1969), der die schwebenden Übergange von Zeit und Raum, die Dämmerzustände zwischen Tag und Nacht, Schlaf und Wachen und das Verfließen der Zeit in seinen besten Stücken auf eine Weise gestaltet hat, die in deutscher Sprache vergleichslos ist. Er wäre als Lyriker unbedingt wiederzuentdecken - vielleicht gemeinsam mit dem bei uns so wenig bekannten Edward Thomas!?
Thomas ist 1917 im Ersten Weltrieg gefallen; dies sollte uns daran erinnern, daß Krieg nicht schön ist und auch kein legitimes Mittel der Politik; in einer Zeit, in der selbst pazifistische Parteien ihn wieder als legitimes Mittel deutscher Außenpolitik betrachten, ist das ein bitter nötiger Hinweis - leider wohl so bitter nötig, wie nutzlos....
1917 hat ihn ein Deutscher getötet, nolens volens, schuldig-unschuldig, wie Thomas wohl selbst; nun dichtet ihn ein Deutscher nach. Letzteres scheint mir allemal sinnvoller und jedenfalls humaner. Aber ich weiß ja, "Humanität ist out", "Marktkonformität ist in". Abfinden muß man sich damit aber nicht... "We are the music-makers / And we are the dreamers of dreams", mit Arthur O'Shaughnessy zu sprechen...


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